Baum

Faire Stadt

Startbild - Fahrradstraße im Grünen

Motivation

Seit ich zurückdenken kann, habe ich meine Umgebung erkundet. Der urbane Raum einer etwas zu klein geratenen Großstadt war in den siebziger Jahren noch ohne größere Gefahren zu Fuß und mit dem Fahrrad zu erleben. Nach einer etwas autolastigeren Phase vom Ende der Schulzeit bis zu den ersten beruflichen Jahren, habe ich das Fahrrad wieder als das praktischste Verkehrsmittel für meinen täglichen Aktionsradius entdeckt; nur selten drängt sich die Notwendigkeit auf, ein Auto zu benutzen.

Zwischenzeitlich hat sich in meiner Stadt jedoch einiges gewandelt. Ruhige Vorortstraßen, in denen man tagsüber die geparkten Autos suchen musste, machen heute bereits tagsüber das Vorankommen schwierig, über Nacht sind die Straßen voll von Autos, so dass man sich mühsam seinem Ziel entgegen bewegt. Egal, ob ich als Fußgänger mich durch die mühsam verbleibenden Lücken zwischen Gehwegparkern und Hauswand quetschen muss oder mit dem Fahrrad auf der verbleibenden Fahrspur noch gerade dem auf meiner Spur entgegenkommenden Pkw ausweichen kann. Selbst mit dem Auto sind die Einmündungen derart unübersichtlich geworden, dass es einigen unangenehme Strecken gibt, die ich zu vermeiden suche.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die die Entwicklungen als Schicksal hinnehmen. Mein Wunsch war es immer, einen Anstoß zu geben für bessere Lösungen, nicht nur im Bereich der Mobilität. Das hat mich 1999 in den Rat der Stadt Bottrop geführt. Aktiv etwas zu verändern ist ein langwieriges Geschäft, wie ich erkennen musste. Politische Mehrheiten zu finden sind das eine; die Übersetzung eines politischen Konsenses in die Sprache der Verwaltung ein meist noch anspruchsvolleres. Meine ursprüngliche Annahme, ein Stadtrat bringt Ergebnisse auf den Weg durch Formulierung der Ziele, hat deutlich zu kurz gegriffen. Es ist vielmehr notwendig durch fortwährenden Dialog auch die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen im gesamten Prozess im Auge zu behalten.

Gerade im Bereich der städtischen Infrastruktur ist es notwendig, nicht ausschließlich den Normen zu entsprechen. Mein Ziel, die Stadt wieder ein wenig näher zu den Menschen zu bringen bedarf einer neuen Herangehensweise bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Der Normgeber hat die Grundlagen dafür bereits in den Regelwerken beschrieben; um für die Umsetzung in die Realität bedarf es stetiger Anstrengungen, um in der Diskussion die Schwerpunkte der Vergangenen Jahrzehnte zu verändern. Das soll keinesfalls bedeuten, das Auto nun pauschal zu verteufeln oder zu benachteiligen: Viele Menschen haben sich auf die politisch geschaffene Situation eingestellt und können nicht von heute auf morgen ihr Leben so organisieren, dass Sie das Auto stehen lassen. Das ist auch nicht mein Ziel. Es geht umgekehrt darum, die Infrastruktur netzneutral umzugestalten: Nicht die Infrastruktur soll durch Bevorzugung oder Benachteiligung den Impuls für die Art der Fortbewegung geben, sondern der Mensch soll sich bei allen Fortbewegungsarten in der Stadt sicher fühlen und hemmnisfrei sein Ziel erreichen können.

Das bedeutet zunächst ein Umdenken im Entwurf zukünftiger Infrastruktur. Weniger bei den Normgebern, als vielmehr bei allen vor Ort Handelnden: Angepasste Grüne Wellen an Hauptstraßen, die zeitgleich für den Kfz-Verkehr und den Radverkehr funktionieren finden sich bereits in der RASt06. In meiner Stadt gibt es eine solche Lösung noch nicht. Radwege sind mit zwei Metern ausreichend breit, damit auch die Mutter mit dem Kind im Anhänger von dem schneller zur Arbeit fahrenden Angestellten überholt werden kann, sagt die ERA10. Es gibt in meiner Stadt keine Hauptachse, an der das umgesetzt ist. Gehwege haben eine Mindestbreite von 2,50m, bei hohem Fußgängeraufkommen auch mehr besagt die EFA. Ich kenne keine Hauptachse, die in unserer älter werdenden Stadt die Menschen einlädt gegebenenfalls auch mit Rollator unterwegs, sich unterhaltend nebeneinander in die Stadt zu Einkauf, Plausch oder zu einem anderen Zweck zu bewegen. Parkplätze dürfen laut RASt06 auch im Umfeld der jeweiligen Straße angelegt werden. In meiner Stadt passen Sie bislang jedoch immer in den Straßenkörper. Die Infrastruktur funktioniert. Bei allen Baumaßnahmen wurde das geltende Regelwerk beachtet; herausgekommen sind jedoch zumeist Mindestmaße oder nach Abwägung der verschiedenen Ansprüche auch geringere Breiten für die Seitenräume. Eine Einladung, die Wege in der Stadt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen ist das leider nicht. Wir sind momentan schon so weit, dass wir vor den Schulen Hol- und Bringzonen anlegen, um dem Verkehrsinfarkt vor den Schulen zu Schulbeginn und -ende Herr zu werden.

Die Detailkenntnisse im Bereich der Mobilität wollte ich mir ursprünglich nicht aneignen. Ich dachte, es reicht aus, das Ziel zu formulieren und ein entsprechendes Ergebnis zu bekommen. Das hört sich jetzt so an, als wenn sich nicht bewegen ließe. Ganz im Gegenteil ist die Absicht (fast) aller Beteiligten in meiner Stadt vorhanden, Fußgängern und Radfahrern mehr Raum zu geben. Viele Detaillösungen bieten dem Radverkehr Lösungen an, um zügig durch die Stadt zu kommen. Anfangs war ich geradezu begeistert von den neuen Möglichkeiten, die Radfahrstreifen, Schutzstreifen boten. Die ersten Umsetzungen haben mich jedoch schnell ernüchtert: Während auf alten Hochbordradwegen der Radfahrer durch die Dooring-Zone geschickt wurde und mit etwas Glück bei einem unachtsamen Aussteiger noch ausweichen konnte, ist das Problem nun auf die Fahrbahnseite verlagert: Das Fahren zwischen parkenden und fahrenden Autos wird nicht nur von einem Großteil der potentiellen Fahrradfahrer als zu gefährlich empfunden. Beobachtet man das Verhalten auf diesen neuen Radverkehrsanlagen, so stellt man fest, dass viele Radfahrer sich der Gefahr nicht bewusst sind und unbekümmert den angebotenen Raum nutzen; Dooring-Unfälle sind selten, aber sie kommen auf diesen neuen Radwegen immer noch vor und die Folgen können schwerwiegend sein. Das ist daher für mich noch nicht die Infrastruktur, die die Menschen einlädt, mit dem Fahrrad zu fahren.

Ein weiteres zentrales Problem wird im Ruhrgebiet besonders deutlich. Eine Vielzahl von Kommunen macht jeweils ihre eigene Planung und gestaltet die Infrastruktur zum Teil höchst unterschiedlich. Ein gewünschtes Verhalten in der einen Stadt wird in der Nachbarstadt schon wieder ganz anders betrachtet. Das macht es nicht einfacher, sich regelkonform zu verhalten.

Um etwas zu verändern ist es notwendig den Diskurs mit allen Beteiligten zu intensivieren. Vor allen aber ist es wichtig, nicht ausschließlich den laut artikulierten Stimmen Raum zu geben; es gilt, die Interessen der Fußgänger und Radfahrer, ÖPNV-Nutzer und derjenigen, die privat und gewerblich mit Kraftfahrzeugen in unserer Stadt unterwegs sind, in den politischen Entscheidungsprozess und in die verwaltungsseitige Umsetzung einzubringen. Mit diesem Internetauftritt werde ich in unregelmäßigen Abständen Beobachtungen rund um das Thema Mobilität in meiner Stadt, aber auch darüber hinaus veröffentlichen und würde mich über Rückmeldungen freuen.